Nadelstreifen

Banker sind mächtig. Sie treffen Entscheidungen, die die Welt beeinflussen und sie sind, zumindest in den höheren Positionen, durchweg Männer. Als künstlerischen Ansatzpunkt wählte Loredana Nemes ein scheinbar gleichförmiges, aber aus fotografisch-künstlerischer und gesellschafts-historischer Perspektive gleichsam spannendes Utensil: Die Berufsuniform der Banker, den Anzug.

Während ihrer Arbeit in den Banktowern in Frankfurt am Main begegnete Loredana Nemes dieses symbolbehaftete Kleidungsstück in verschiedensten Deklinationen – das kollektive Erscheinungsbild im Bankenviertel stand damit in deutlichem Kontrast zum nur wenige Meter weiter sichtbaren Kleidungsrepertoire im Frankfurter Bahnhofsviertel.

„Der Anzug, so wie wir ihn heute kennen, entwickelte sich im letzten Drittel des neunzehnten Jahrhunderts in Europa zum professionellen Kostüm der herrschenden Klasse. Beinahe so anonym wie eine Uniform, war er das erste Kostüm, das eine ausschließlich ruhende Machtausübung idealisieren sollte: die Macht des Administrators und des Konferrenztisches. Der Anzug war im wesentlichen für die Gesten des Sprechens und abstrakten Kalkulierens gemacht. […] Er war ein Kleidungsstück, das kräftige Bewegungen hemmte, ja, das von Bewegung eher zerknittert, verbeult und verdorben wurde.“ (John Berger, “Der Anzug und die Photographie”, 1979)

Eben diesem Verknittern und Verderben wendet Nemes sich zu, den Spuren des Individuellen, des Menschlichen, die insbesondere das Bankenbusiness zu kaschieren sucht. Mit ihrer Inszenierung steigert Nemes diesen Abnutzungsprozess ins Absurde, erhöht ihn zum Dialogsmittel selbst. Dem Kleidungsstück der Macht haftet nun Religiöses an oder Politisches oder es wird Attribut eines Portraits der Rennaissance. “Nadelstreifen” ist eine haptische Arbeit, in der die Masche des feinen Stoffes Berührung einfordert, bis das sture Kleidungsstück gehorcht und zur Skulptur wird, einem Gebilde, das für den Träger gemacht scheint und das dieser mit stoischer Selbstverständlichkeit trägt, als hätte es nie eine andere Art des Tragens gegeben.

Dies ist ein Spiel, ein Spiel mit Bildern, die Fragen aufwerfen, die irritieren und Geschlechter aufheben, die Bekanntes auf den Kopf stellen und eine neue Betrachtungsweise einfordern. Im Dialog mit den Portraitierten scheint alles möglich, ein grenzenloses Duett, ein Ausbruch aus dem Rhythmus aller Tage, eine Sehnsucht nach Abenteuer, nach einem Bild, das Ungesehenes zeigt.